Nadia Leonhard – Woche 2 – Ais nochem Andera

June 4, 2020

 

Ich komme stets näher zu dem, was ich erfahren will. – vom Liebesbrief an dich

 

           Cara Casa Sasso,

Ich habe mich an dich gewöhnt. Ich traue mich dich den Tag durch zu verlassen um durch den schönen Waldweg den See zu erreichen. Die Kohle letzter Woche wird durch meine Kamera ersetzt. Mein Auge geht mit, meine rechte Hand geht mit, meine Kamera geht mit. Nicht mehr mit dem Schatten, sondern mit den Menschen auf See. Schwimmend, auf dem Boot sonnend oder steuernd, Blase entleerend, Prosecco trinkend. Ich folge dem Lauf der Dinge. „Ais nochem Andera“. Dieser Satz einer lieben Freundin, beruhigt mich in der Überforderung ungemein. Der Verkehr, die Begegnungen auf See führen mich vom Einen zum Andern. Ich bin, wie auch in meinen letzten Arbeiten, Mittel zum Zweck. Ich dokumentiere, ich lasse mich instrumentalisieren, ich verfolge. Ich bin Voyeurin. Warum? Ich möchte für die scheinbar unspektakuläre Nebensache schwärmen. Ich interessiere mich weniger für die grossen Gesten und mehr für alltägliche menschliche Interaktionen. Es ist mir, davon bin ich überzeugt, nur so lange möglich Nebensächliches zu sichten, solange ich Voyeurin bin. Gebe mich zu erkennen, ist die Authentizität vergangen. Ausserdem macht es mir den Eindruck, als wollten einige der Menschen auf See unbedingt, dass mensch sie sieht. 

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In Zürich und weltweit, gehen Menschen auf die Strasse um gegen Rassismus und Polizeigewalt  zu protestieren. Würde uns hier der Empfang wegbleiben, hätten wir wohl nichts davon erfahren. Ich verbringe viel Zeit damit mich zu informieren, zu hören und zu lernen. Mich damit zu befassen, mir einmal mehr meine Privilegien bewusst zu werden und darüber nachzudenken wie ich sie einsetzen muss, hat diese Tage Priorität. Das erste mal während dieses Aufenthaltes wünsche ich mir zurück in der Stadt und auf den Strassen zu sein. Aber auch in der Gemeinde Gambarogno, in welcher, so scheint es mir, vor allem super privilegierte Deutschschweizer*innen ihr Zweitwohnsitz haben, lohnt es sich laut zu sein.

A presto.

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